Wissenschaftlich bewährte Prävention mit Communities That Care (CTC)
Wissenschaftlich bewährte Prävention mit Communities That Care (CTC)
Jede Kommune steht vor der Herausforderung, ihre Kinder und Jugendlichen bestmöglich zu fördern und zu schützen. Doch trotz engagierter Fachkräfte und vielfältiger Angebote bleibt oft ein Gefühl der Unzufriedenheit: Erreichen wir wirklich alle Kinder? Setzen wir unsere begrenzten Ressourcen optimal ein? Wirken unsere Maßnahmen nachhaltig?
CTC bietet einen systematischen Weg, diese Fragen zu beantworten und Prävention neu zu denken – nicht als Sammlung isolierter Projekte, sondern als gemeinsame kommunale Strategie.
Von der Forschung zur Praxis
Die Geschichte von Communities That Care (CTC)
Die Anfänge: Eine Vision aus der Präventionsforschung
Die Wurzeln von Communities That Care (CTC) reichen zurück in die frühen 1980er Jahre an die Universität Washington in Seattle. Am dortigen Social Development Research Group (SDRG) begann ein interdisziplinäres Forschungsteam unter der Leitung von J. David Hawkins und Richard F. Catalano, die Erkenntnisse aus jahrzehntelanger Präventionsforschung zu bündeln. Ihr Ziel war es, einen wirksamen Ansatz zur Prävention von Problemverhalten bei Heranwachsenden – insbesondere Substanzmissbrauch, Gewalt und Delinquenz – zu entwickeln, der auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert.
Die zentrale Idee war von Anfang an, nicht nur einzelne Verhaltensweisen zu adressieren, sondern die zugrundeliegenden Risiko- und Schutzfaktoren in den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen (Familie, Schule, Freundeskreis, Kommune) zu identifizieren und gezielt zu beeinflussen. Aufbauend auf dem Modell der sozialen Entwicklung (Social Development Model) erkannten die Forscher: Um nachhaltige, positive Veränderungen im Leben junger Menschen zu bewirken, müssen Kommunen selbst in die Lage versetzt werden – sie müssen das Wissen und die Werkzeuge erhalten –, evidenzbasierte Entscheidungen für ihre Präventionsarbeit zu treffen und diese umzusetzen. Es ging darum, Kommunen zu befähigen („Empowerment“), lokale Bedarfe objektiv zu erkennen und wirksam anzugehen.
Entwicklung und Verbreitung in den USA: Ein partizipativer Prozess
In den späten 1980er und den 1990er Jahren wurde CTC in einem partizipativen Prozess gemeinsam mit hunderten amerikanischen Gemeinden (zeitweise über 470) praktisch erprobt und kontinuierlich weiterentwickelt. Das System wurde an die Bedürfnisse unterschiedlicher Kommunen angepasst. Ein Kernanliegen war es, zwei verbreitete Probleme in der Präventionspraxis zu überwinden: den Einsatz von Maßnahmen ohne ausreichende wissenschaftliche Evidenz und die oft unzureichende Umsetzung (Implementation) von nachweislich effektiven Programmen.
CTC wurde daher darauf ausgerichtet, lokale Koalitionen aus Schlüsselpersonen verschiedener Sektoren (Verwaltung, Schulen, Jugendhilfe, Polizei, Gesundheitswesen, Zivilgesellschaft etc.) aufzubauen und zu schulen. Diese Koalitionen lernen, mithilfe des CTC-Jugendsurveys (einer standardisierten Befragung von Schülerinnen und Schülern) die spezifischen Risiko- und Schutzfaktoren in ihrer Gemeinde zu identifizieren, Prioritäten zu setzen und passgenaue, evidenzbasierte Präventionsprogramme auszuwählen und qualitätsgesichert umzusetzen. Das strukturierte Vorgehen in fünf Phasen (Vorbereiten, Organisieren, Profil erstellen, Planen, Umsetzen & Evaluieren) mit klaren Meilensteinen wurde zum Markenzeichen von CTC.
Die Ergebnisse überzeugten: Gemeinden, die mit CTC arbeiteten, verzeichneten messbar bessere Entwicklungen bei Kindern und Jugendlichen im Vergleich zu Kontrollgemeinden.
Wissenschaftliche Bestätigung: Die Community Youth Development Study (CYDS)
Der wissenschaftliche Durchbruch und die Bestätigung der Wirksamkeit von CTC kamen mit der Community Youth Development Study (CYDS). Diese 2003 gestartete, randomisierte kontrollierte Studie (RCT) in 24 ländlichen Gemeinden aus sieben US-Bundesstaaten begleitete über 4.400 Jugendliche von der 5. Klasse bis ins junge Erwachsenenalter.
Die Ergebnisse der CYDS waren eindeutig und bestätigten das Wirkmodell von CTC:
- Systemveränderung: CTC-Kommunen übernahmen nachweislich häufiger einen wissenschaftsbasierten Präventionsansatz und verbesserten die intersektorale Zusammenarbeit.
- Reduzierte Risikofaktoren & gestärkte Schutzfaktoren: Gezielte Interventionen führten zu messbaren Verbesserungen bei den priorisierten Faktoren.
- Weniger Problemverhalten: Jugendliche in CTC-Kommunen begannen später mit dem Konsum von Alkohol und Tabak, zeigten signifikant niedrigere Raten bei Substanzkonsum (Alkohol, Tabak, Marihuana, Inhalantien – besonders bei Jungen), Gewalt und Delinquenz.
- Langzeiteffekte: Besonders beeindruckend war, dass diese positiven Effekte bis ins junge Erwachsenenalter (mindestens bis zum Alter von 21 bzw. 23 Jahren) anhielten, also auch Jahre nach der intensivsten Phase der Programminstallation in der frühen Jugend.
- Kosteneffektivität: Ökonomische Analysen zeigten zudem, dass jeder in CTC investierte Dollar einen erheblichen gesellschaftlichen Nutzen (Return on Investment von bis zu 1:12 für primäre und 1:30 für sekundäre Outcomes) generierte, indem spätere Kosten im Gesundheits-, Sozial- und Justizsystem vermieden wurden.
Diese umfassende wissenschaftliche Validierung machte CTC zu einem international anerkannten Modell für effektive kommunale Prävention.
Ankunft und Anpassung in Deutschland: Vom Modellprojekt zur Bewegung
Aufbauend auf den Erfolgen in den USA wurde CTC ab 2008/2009 im Rahmen des EU-Modellprojekts „Social Prevention In Networks“ (SPIN) nach Deutschland übertragen. Federführend war der Landespräventionsrat (LPR) Niedersachsen. Eine zentrale Aufgabe war die Anpassung des Systems an den deutschen Kontext. Dies umfasste:
- Strukturelle Anpassung: Anders als in den USA, wo oft auf ehrenamtliche Strukturen gesetzt wird, baut CTC in Deutschland in der Regel auf bestehende professionelle Netzwerke und Verwaltungsstrukturen in den Kommunen auf und erweitert diese gezielt.
- Kulturelle und sprachliche Adaption: Die Schulungsmaterialien und Instrumente, insbesondere der CTC-Jugendsurvey, wurden übersetzt und kultursensibel angepasst. Die Validität des deutschen Surveys wurde wissenschaftlich überprüft.
- Entwicklung der „Grünen Liste Prävention“: Da ein Äquivalent zum US-amerikanischen Register „Blueprints for Healthy Youth Development“ fehlte, entwickelte der LPR ab 2011 das Online-Register „Grüne Liste Prävention“. Dieses frei zugängliche Register bewertet deutschsprachige Präventionsprogramme nach wissenschaftlichen Kriterien und unterstützt Kommunen bei der Auswahl geeigneter, evidenzbasierter Maßnahmen.
Nach einer erfolgreichen Erprobung in mehreren niedersächsischen Kommunen und einer Machbarkeitsstudie wurde CTC ab 2013 in Niedersachsen etabliert. Was als Modellprojekt begann, entwickelte sich zu einer breiteren Bewegung.
CTC heute in Deutschland: Verbreitung, Forschung und Ausblick
Heute arbeiten über 50 Kommunen (Städte, Landkreise, Stadtteile) in verschiedenen Bundesländern mit dem CTC-Ansatz. Seit 2018 unterstützt die Transferstelle CTC, getragen von der Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention (DFK) und der FINDER Akademie (bis 2023 durch den Deutschen Präventionstag), die bundesweite Verbreitung und Qualitätssicherung.
Auch in Deutschland wird die Wirksamkeit von CTC wissenschaftlich untersucht. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte CTC-EFF-Studie (2021-2023) untersuchte in einem quasiexperimentellen Design mit 38 Kommunen, ob sich die positiven Effekte aus den USA hierzulande replizieren lassen. Erste Ergebnisse deuten darauf hin:
- CTC fördert auch in Deutschland die Übernahme eines wissenschaftsbasierten Ansatzes und die intersektorale Zusammenarbeit in der kommunalen Prävention.
- Eine höhere kommunale Kapazität (Community Capacity) – also das Leistungsvermögen einer Kommune im Bereich Prävention, das durch CTC gestärkt werden soll – steht im Zusammenhang mit geringerem Substanzkonsum bei Jugendlichen.
- Die Studie identifizierte auch Herausforderungen für die Implementation, wie z.B. die Sicherstellung ausreichender Ressourcen (insbesondere für die CTC-Koordination), gute Kommunikation im Team, die Integration neuer Mitglieder und die Notwendigkeit kontinuierlicher Unterstützung und Schulung. Die COVID-19-Pandemie stellte eine zusätzliche Herausforderung dar, die die Implementation in vielen Kommunen verlangsamte.
Basierend auf diesen Erkenntnissen werden Handlungsempfehlungen für die Praxis entwickelt, um die Implementation von CTC weiter zu verbessern. Aktuelle Forschungen bestätigen somit auch für Deutschland das Potenzial von CTC, die Präventionslandschaft nachhaltig zu verändern und die gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen wirksam zu fördern. Der Ansatz entwickelt sich weiter, beispielsweise durch die Adaptation für das Setting Schule („Schools That Care“ – STC und Weitblick).
Theoretischer Hintergrund
Communities That Care (CTC) ist mehr als nur eine Sammlung von Maßnahmen; es ist ein systematischer, wissenschaftlich fundierter Ansatz, der auf etablierten Theorien der Entwicklungspsychologie und Präventionsforschung basiert. Dieses theoretische Fundament ist entscheidend, um zu verstehen, warum und wie CTC wirkt und warum die aktive Beteiligung der Gemeinschaft dabei eine so zentrale Rolle spielt.

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