Der theoretische Hintergrund von Communities That Care (CTC)
Wissenschaftlich bewährte Prävention mit Communities That Care (CTC)
Communities That Care (CTC) ist mehr als nur eine Sammlung von Maßnahmen; es ist ein systematischer, wissenschaftlich fundierter Ansatz, der auf etablierten Theorien der Entwicklungspsychologie und Präventionsforschung basiert. Dieses theoretische Fundament ist entscheidend, um zu verstehen, warum und wie CTC wirkt und warum die aktive Beteiligung der Gemeinschaft dabei eine so zentrale Rolle spielt.
Das Konzept der Risiko- und Schutzfaktoren
Ein zentraler Baustein von CTC ist das Konzept der Risiko- und Schutzfaktoren. Die Forschung zeigt eindeutig, dass bestimmte Bedingungen und Einflüsse im Leben junger Menschen die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung von Problemverhalten (wie Substanzkonsum, Gewalt, Delinquenz oder Schulabbruch) erhöhen (Risikofaktoren), während andere Faktoren diese Wahrscheinlichkeit verringern und eine positive Entwicklung fördern (Schutzfaktoren).
Diese Faktoren finden sich in allen wichtigen Lebensbereichen:
- Individuum/Peers: Persönliche Einstellungen (z.B. Risikobereitschaft, Haltung zu Problemverhalten), Umgang mit Freunden, frühe Verhaltensmuster.
- Familie: Erziehungsstil (z.B. Elterliche Überwachung, klare Regeln), familiärer Zusammenhalt, Konflikte, elterliche Haltung zu Problemverhalten.
- Schule: Bindung zur Schule, Schulerfolg, Schulklima, Gelegenheiten zur Beteiligung.
- Kommune/Nachbarschaft: Soziale Bindungen im Umfeld, Verfügbarkeit von Drogen oder Waffen, gemeinschaftliche Normen, Engagementmöglichkeiten.
Das Besondere: Viele dieser Faktoren wirken unspezifisch, das heißt, sie beeinflussen nicht nur ein einzelnes Problemverhalten, sondern eine ganze Bandbreite davon. Ein hoher Risikofaktor (z.B. fehlende Bindung zur Schule) kann das Risiko für mehrere Probleme (z.B. Drogenkonsum und Delinquenz) erhöhen. Umgekehrt kann ein starker Schutzfaktor (z.B. starker familiärer Zusammenhalt) vor verschiedenen Problemen schützen.
CTC nutzt dieses Wissen, indem es Kommunen hilft, die spezifischen Risiko- und Schutzfaktoren durch lokale Daten (insbesondere den CTC-Jugendsurvey) zu identifizieren, die bei ihren Kindern und Jugendlichen besonders ausgeprägt sind. Dies ermöglicht eine passgenaue und ressourceneffiziente Präventionsplanung.
Das Modell der Sozialen Entwicklung (Social Development Model – SDM)
Die entwicklungstheoretische Basis für das Verständnis, wie Risiko- und Schutzfaktoren wirken und wie positive Entwicklung gefördert werden kann, liefert das Modell der Sozialen Entwicklung (entwickelt von Hawkins & Catalano).
Das SDM beschreibt, wie junge Menschen soziale Verhaltensweisen lernen – sowohl prosoziale (erwünschte) als auch problematische. Der Kern des Modells ist die Bindung (Bonding) an soziale Einheiten, die prosoziales Verhalten fördern: Familie, Schule, positive Peer-Gruppen und die Gemeinschaft. Eine starke Bindung fungiert als wichtiger Schutzfaktor.
Eine solche starke Bindung entsteht und wird gefestigt, wenn drei zentrale Bedingungen erfüllt sind:
- Gelegenheiten: Kinder und Jugendliche benötigen Möglichkeiten zur aktiven Beteiligung und sinnvollen Teilhabe in Familie, Schule und Gemeinde. Sie müssen die Chance haben, sich einzubringen, Verantwortung zu übernehmen und positive Beiträge zu leisten.
- Fähigkeiten: Sie müssen über die notwendigen sozialen, emotionalen und kognitiven Kompetenzen verfügen, um diese Gelegenheiten erfolgreich wahrzunehmen und Herausforderungen zu meistern. Dazu gehören Kommunikationsfähigkeit, Problemlösekompetenz und Selbstregulation.
- Anerkennung: Ihr Engagement, ihre Bemühungen und ihr prosoziales Verhalten müssen wahrgenommen, positiv rückgemeldet und wertgeschätzt werden. Diese Anerkennung bestärkt sie in ihrem Tun und stärkt die Bindung.
Wenn diese drei Bedingungen gegeben sind, entwickeln junge Menschen eine starke emotionale Bindung an diese prosozialen Einheiten. Diese Bindung führt dazu, dass sie die Werte, Normen und Überzeugungen dieser Gruppen übernehmen. Sie entwickeln gesunde Überzeugungen und klare Standards für ihr eigenes Verhalten.
Das Ergebnis: Junge Menschen mit starken prosozialen Bindungen zeigen mit höherer Wahrscheinlichkeit selbst prosoziales Verhalten, engagieren sich positiv in ihrer Gemeinschaft und sind widerstandsfähiger (resilienter) gegenüber negativen Einflüssen und Problemverhalten. Umgekehrt führt eine schwache Bindung an prosoziale Einheiten und/oder eine starke Bindung an antisoziale Einflüsse (z.B. delinquente Peers) zur Übernahme problematischer Normen und Verhaltensweisen.
Die Rolle der Partizipation
Das Modell der Sozialen Entwicklung macht deutlich, dass Partizipation kein optionales Extra, sondern ein integraler Bestandteil erfolgreicher Prävention und Gesundheitsförderung ist. Echte Teilhabe schafft die notwendigen „Gelegenheiten“ für junge Menschen, sich zu engagieren und Bindungen aufzubauen.
Darüber hinaus ist Partizipation auch auf der Ebene der kommunalen Akteure entscheidend für den Erfolg von CTC. Der gesamte CTC-Prozess ist darauf ausgelegt, die Gemeinschaft zu befähigen (Empowerment):
- Gemeinsame Analyse: Die lokale CTC-Koalition, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Sektoren und idealerweise auch Bürgerinnen und Bürgern, analysiert gemeinsam die lokalen Daten.
- Geteilte Entscheidungsfindung: Die Koalition legt gemeinsam Prioritäten fest und entscheidet, welche evidenzbasierten Programme implementiert werden sollen.
- Lokale Eigenverantwortung: Durch die aktive Beteiligung entsteht ein Gefühl der Eigenverantwortung („Ownership“) für die Präventionsstrategie. Die Maßnahmen werden nicht von außen „verordnet“, sondern von der Gemeinschaft selbst getragen und gestaltet.
Diese partizipative Arbeitsweise ist nicht nur ein Prinzip der Gesundheitsförderung, sondern auch ein nachgewiesener Faktor für die Nachhaltigkeit und Wirksamkeit von kommunalen Präventionsbemühungen. Sie stärkt die „Community Capacity“ – das Leistungsvermögen der Kommune, Gesundheitsförderung erfolgreich umzusetzen.
Die Risikofaktorenmatrix: Zusammenhänge auf einen Blick
Die langjährige Forschung hat die Zusammenhänge zwischen spezifischen Risikofaktoren und verschiedenen Formen von Problemverhalten detailliert untersucht. Die folgende Matrix visualisiert diese Erkenntnisse und zeigt auf, welche Risikofaktoren sich in wissenschaftlichen Studien als besonders relevant für bestimmte Problembereiche erwiesen haben.
Für eine Erläuterung mit der Maus über den jeweiligen Faktor fahren.
Risikofaktoren Problemverhalten von Jugendlichen | |||||
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Drogenkonsum | Alkohol | Schulabsentismus und Schulabbruch | Delinquentes Verhalten | Gewalt | |
FAMILIE | |||||
Geschichte des Problemverhaltens in der Familie
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Probleme mit dem Familienmanagement
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Konflikte in der Familie
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Zustimmende Haltungen der Eltern zu Problemverhalten
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SCHULE | |||||
Frühes und anhaltendes unsoziales Verhalten
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Lernrückstände beginnend in der Grundschule
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Fehlende Bindung zur Schule
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KINDER UND JUGENDLICHE | |||||
Entfremdung und Auflehnung
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Umgang mit Freunden, die Problemverhalten zeigen
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Haltungen, die Problemverhalten fördern
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Früher Beginn des Problemverhaltens
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Anlagebedingte Faktoren
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NACHBARSCHAFT / GEBIET | |||||
Verfügbarkeit von Drogen
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Verfügbarkeit von Waffen
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Normen, die Problemverhalten fördern
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Gewalt in den Medien
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Fluktuation und Mobilität/ Häufiges Umziehen
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Wenig Bindung in der Nachbarschaft und Desorganisation in einem Gebiet
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Hochgradige soziale und räumliche Ausgrenzung
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Jeder Haken bedeutet, dass mindestens zwei wissenschaftliche Längsschnittstudien den Zusammenhang bestätigen.
Von der Theorie zur Praxis
CTC übersetzt diese theoretischen Grundlagen konsequent in die praktische Arbeit vor Ort:
- Datengestützte Bedarfsanalyse: Mit dem CTC-Jugendsurvey erheben Kommunen systematisch Daten zu den relevanten Risiko- und Schutzfaktoren bei ihren Schülerinnen und Schülern.
- Partizipative Priorisierung: Basierend auf den lokalen Daten identifiziert die kommunale CTC-Koalition in einem gemeinsamen Prozess die dringendsten Handlungsbedarfe – also die am stärksten ausgeprägten Risikofaktoren und die schwächsten Schutzfaktoren.
- Gemeinsame Auswahl evidenzbasierter Programme: Mithilfe der „Grünen Liste Prävention“ wählt die Koalition gezielt Programme aus, deren Wirksamkeit bei der Beeinflussung der priorisierten Faktoren wissenschaftlich nachgewiesen ist.
- Zielgerichtete Intervention: Die ausgewählten Programme werden implementiert, um Risikofaktoren zu reduzieren, Schutzfaktoren zu stärken und Gelegenheiten für positive Entwicklung und Beteiligung zu schaffen.
- Gemeinsame Evaluation: Durch wiederholte Befragungen und die Analyse lokaler Daten wird überprüft, ob die Interventionen die gewünschten Effekte auf die Risiko- und Schutzfaktoren sowie auf das Problemverhalten haben. Der Prozess wird bei Bedarf angepasst.
Indem CTC konsequent auf diesem theoretischen Fundament aufbaut, einen datengesteuerten, evidenzbasierten Prozess verfolgt und Partizipation auf allen Ebenen fördert, maximiert es die Wahrscheinlichkeit, die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen nachhaltig und gemeinschaftlich zu fördern.

Grüne Liste Prävention
Communities That Care (CTC) erfordert die gezielte Auswahl wissenschaftlich fundierter Präventionsprogramme, um lokale Herausforderungen wirksam anzugehen. Genau hier setzt die Grüne Liste Prävention an: Als zentrales deutsches Evidenzregister, entwickelt im Zuge der CTC-Einführung, bietet sie Kommunen und Fachkräften eine verlässliche, geprüfte Auswahl effektiver Maßnahmen für Kinder und Jugendliche.