Eine neue Forschungssynthese des britischen Youth Endowment Fund untersucht erstmals systematisch, ob Communities That Care Jugendgewalt reduzieren kann. Die Ergebnisse: zehn Prozent weniger Gewalt in CTC-Gebieten – und klare Empfehlungen für die Umsetzung.
Warum diese Studie besonders ist
Zur Wirksamkeit von Communities That Care liegen bereits zahlreiche Studien vor – insbesondere zur Prävention von Substanzkonsum. Was bislang fehlte, war eine systematische Zusammenschau der Forschung mit Blick auf Gewalt und Jugendkriminalität. Diese Lücke schließt nun eine im November 2025 veröffentlichte Übersichtsarbeit im Auftrag des britischen Youth Endowment Fund (Valdebenito et al., 2025).
Der Youth Endowment Fund wurde 2019 vom britischen Innenministerium mit einem Stiftungskapital von 200 Millionen Pfund gegründet. Seine Mission: herausfinden, was bei der Prävention von Jugendgewalt tatsächlich funktioniert – und dieses Wissen in die Praxis bringen. In diesem Rahmen beauftragte der Fonds ein Forschungsteam um Sara Valdebenito von der Monash University (Australien), die internationale CTC-Forschung systematisch auszuwerten.
Der entscheidende Punkt: Diese Studie untersuchte ausschließlich, ob CTC Gewalt und delinquentes Verhalten bei Jugendlichen reduzieren kann. Andere wichtige Wirkbereiche von CTC – etwa Substanzkonsum oder psychische Gesundheit – waren nicht Gegenstand der Analyse. Die Ergebnisse sind daher ein wichtiges Puzzlestück, aber kein Gesamtbild der CTC-Wirksamkeit.
Der methodische Ansatz: Was wurde wie untersucht?
Die Forschungsgruppe kombinierte zwei Methoden:
Quantitative Zusammenfassung der Wirksamkeitsstudien
Das Team durchsuchte systematisch wissenschaftliche Datenbanken nach Studien, die CTC-Gebiete mit Vergleichsgebieten verglichen und dabei Gewalt oder Delinquenz als Ergebnisgröße erfassten. Als Ergebnisgrößen galten:
- Selbstberichte Jugendlicher über gewalttätiges Verhalten (Täterschaft oder Opfererfahrungen)
- Polizeilich erfasste Straftaten wie Körperverletzung, Raub oder Sachbeschädigung
- Verhaftungen oder Verurteilungen wegen Gewaltdelikten
Die identifizierten Studien wurden mittels einer sogenannten Mehrebenen-Metaanalyse statistisch zusammengefasst. Dieses Verfahren berücksichtigt, dass mehrere Veröffentlichungen oft auf denselben Daten beruhen – etwa wenn eine Langzeitstudie über die Jahre hinweg mehrfach publiziert wird. Die Methode verhindert, dass solche abhängigen Befunde das Gesamtergebnis verzerren.
Inhaltsanalyse der Umsetzungsstudien
Ergänzend wertete das Team 24 Veröffentlichungen aus, die sich mit der praktischen Umsetzung von CTC befassen. Diese qualitative Analyse sollte klären: Welche Bedingungen begünstigen den Erfolg? Welche Hindernisse treten auf? Welche Strategien haben sich bewährt?
Die Datenbasis: Vier unabhängige Studien aus zwei Ländern
Trotz umfangreicher Suche fanden sich nur vier voneinander unabhängige Wirksamkeitsstudien, die den Einschlusskriterien entsprachen. Diese vier Studien wurden allerdings in insgesamt 13 Veröffentlichungen dokumentiert, da Langzeiteffekte über mehrere Jahre hinweg berichtet wurden.
Community Youth Development Study (Hawkins et al., 2008ff.): Die methodisch stärkste Studie – ein randomisiert-kontrolliertes Experiment. 24 Kleinstädte in sieben US-Bundesstaaten wurden per Zufall der CTC-Gruppe oder einer Vergleichsgruppe zugeordnet. Die Studie läuft seit 2003 und lieferte sechs der 13 eingeschlossenen Veröffentlichungen.
Pennsylvania-Studie (Chilenski et al., 2019): Eine Studie mit quasi-experimentellem Design, bei der CTC-Gebiete mit statistisch vergleichbaren Kontrollgebieten verglichen wurden.
Bronzeville/Chicago-Studie (Gorman-Smith et al., 2024): Die einzige Studie aus einem großstädtischen, sozial stark belasteten Umfeld. Hier wurde CTC an die besonderen Bedingungen eines afroamerikanisch geprägten Stadtteils angepasst.
Victoria-Studie (Toumbourou et al., 2019): Die einzige Studie außerhalb der USA. Sie untersuchte die Übertragbarkeit des CTC-Ansatzes auf den australischen Kontext.
Die zentralen Ergebnisse
Was eine Forschungssynthese leistet – und was das für die Ergebnisse bedeutet
Einzelne Studien können positive Effekte zeigen – und taten es auch. Warum ist dann das Gesamtergebnis der Synthese nicht eindeutig?
Eine Forschungssynthese fasst mehrere Studien zusammen und prüft, ob sich ein Effekt über verschiedene Kontexte hinweg bestätigt. Das ist ein strengerer Test als eine Einzelstudie: Wenn CTC in Pennsylvania, Chicago und Australien unter ganz unterschiedlichen Bedingungen ähnlich wirkt, ist der Befund belastbarer.
Genau hier liegt aber auch die Herausforderung: Die vier eingeschlossenen Studien unterscheiden sich stark – in den Kontexten (ländlich vs. städtisch), in der Umsetzung und in den Ergebnissen. Diese Streuung führt dazu, dass der zusammengefasste Effekt statistisch unsicherer wird, auch wenn die Einzelstudien für sich genommen positive Befunde lieferten.
Das Ergebnis ist also kein Widerspruch zu den Einzelstudien. Es zeigt vielmehr: CTC wirkt – aber wie stark, hängt von den Bedingungen vor Ort ab.
Gesamteffekt: Sieben Prozent weniger Gewalt und Delinquenz
Fasst man alle Studien zusammen, zeigt sich: In CTC-Gebieten war das Risiko für Jugendgewalt und Delinquenz um etwa sieben Prozent niedriger als in Vergleichsgebieten. Aufgrund der Streuung zwischen den Studien erreicht dieses Ergebnis nicht die konventionelle Schwelle für statistische Signifikanz – was angesichts der unterschiedlichen Kontexte zu erwarten war.
Gewalt versus allgemeine Delinquenz: Unterschiedliche Effekte
Bei getrennter Betrachtung zeigte sich ein aufschlussreiches Muster:
Gewaltbezogene Ergebnisse: Hier fiel die Risikoreduktion mit zehn Prozent deutlicher aus. Trotz der Streuung zwischen den Studien verfehlte dieser Befund die Signifikanzschwelle nur knapp.
Allgemeine Delinquenz: Bei Verhaltensweisen wie Diebstahl, Vandalismus oder antisozialem Verhalten zeigte sich kein messbarer Effekt.
Dieser Unterschied ist bemerkenswert: CTC scheint bei der Prävention schwerwiegender Verhaltensweisen wirksamer zu sein als bei leichteren Formen. Eine mögliche Erklärung: Gewaltprävention erfordert strukturelle Veränderungen auf Gemeindeebene – genau das, worauf CTC abzielt.
Städtische Umsetzung: Das Beispiel Chicago
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Bronzeville-Studie aus Chicago (Gorman-Smith et al., 2024). Anders als die übrigen Studien wurde sie in einem großstädtischen Umfeld mit hoher sozialer Belastung durchgeführt. Das Forschungsteam passte den CTC-Ansatz an die örtlichen Gegebenheiten an und legte besonderen Wert auf den Aufbau organisatorischer Kapazitäten bei den lokalen Partnern. Das Ergebnis: eine Risikoreduktion von neun Prozent bei polizeilich erfassten Straftaten – darunter Eigentumsdelikte, Raub, schwere Körperverletzung, Schusswaffengewalt und Tötungsdelikte.
Was der gefundene Effekt konkret bedeutet
Eine Risikoreduktion um zehn Prozent bei Gewalt klingt abstrakt. Was bedeutet das für eine Kommune?
Ein Rechenbeispiel: In einer Stadt mit 10.000 Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren werden laut Statistik jährlich etwa 300 bis 500 wegen Gewaltdelikten polizeilich erfasst. Eine Reduktion um zehn Prozent bedeutet: 30 bis 50 Jugendliche weniger, die als Tatpersonen in Erscheinung treten – und entsprechend weniger Opfer. Über einen Zeitraum von fünf Jahren summiert sich das auf 150 bis 250 verhinderte Fälle.
Dahinter stehen: Jugendliche, die keine Vorstrafe bekommen. Opfer, denen Leid erspart bleibt. Familien, die nicht mit den Folgen einer Gewalttat leben müssen. Und eine Gemeinschaft, in der Jugendliche sicherer aufwachsen.
Empfehlungen der Studie
Aus den Befunden leiten die Autor:innen konkrete Empfehlungen ab:
Für die Standortwahl
Präventionsfreundliches Umfeld wählen: CTC gedeiht dort, wo Politik und Verwaltung für präventive Ansätze aufgeschlossen sind und entsprechende Mittel bereitstellen.
Auf bestehende Strukturen aufbauen: Erfolgreiche Umsetzungen profitieren von vorhandenen Kooperationsstrukturen und einem Angebot wirksamer Programme. Wo diese fehlen, ist mehr Vorlaufzeit nötig.
Passende Gebietsgrenzen: Die CTC-Gebiete sollten mit Verwaltungsstrukturen übereinstimmen. Das erleichtert Finanzierung und Zusammenarbeit.
Für die Umsetzung
Finanzierung der Koordination sichern: Besonders kritisch ist die Finanzierung der Koordinationsstelle. Fällt diese weg, lösen sich CTC-Koalitionen häufig auf – selbst wenn die inhaltliche Arbeit erfolgreich war.
In Schulungen investieren: Die Teilnahme von Führungskräften und Koalitionsmitgliedern an CTC-Schulungen erwies sich als zentraler Wirkfaktor. Sie fördert die Übernahme eines wissenschaftsbasierten Präventionsverständnisses – laut den Studien der wichtigste Vermittler der CTC-Wirksamkeit.
Kontinuierliche Begleitung gewährleisten: Anhaltende fachliche Unterstützung über einen längeren Zeitraum ist entscheidend für die Umsetzungstreue.
Anpassungen zulassen: Maßvolle Anpassungen an lokale Gegebenheiten erleichtern die Umsetzung – solange die wesentlichen Programmbestandteile erhalten bleiben.
Bekannte Stolpersteine vermeiden
Die Studien identifizierten wiederkehrende Hindernisse: mangelnde Akzeptanz für den langfristigen CTC-Prozess, Schwierigkeiten bei der Gewinnung wichtiger Partner (insbesondere Schulen), Konkurrenz mit bestehenden Initiativen sowie – vor allem außerhalb der USA – fehlende wirksame Programme für die jeweilige Zielgruppe.
Einordnung
Diese Forschungssynthese ist die erste, die systematisch untersucht, ob CTC Jugendgewalt und Kriminalität reduzieren kann. Die Ergebnisse deuten auf eine Wirksamkeit hin, insbesondere bei Gewalt. Die Evidenzbasis beruht auf vier unabhängigen Studien und bedarf weiterer Forschung – idealerweise auch in europäischen Kontexten. Hierzulande sind bereits einige der Stolpersteine erfolgreich adressiert: Für Schulen gibt es mit Weitblick ein auf CTC basierendes Angebot. Die Grüne Liste Prävention führt derzeit über 113 wirksame Präventionsprogramme und mit dem Präventionsgesetz gibt es eine sozialgesetzliche Grundlage, um innerhalb von Kommunen die nötige Kapazität zur Implementierung von CTC aufzubauen.
Literatur
Chilenski, S. M., Frank, J. L. & Fagan, A. A. (2019). Pennsylvania’s Communities That Care prevention system: Planning, initial implementation, and student outcomes. Community Development, 50(1), 24–45.
Gorman-Smith, D., Cosey-Gay, F., Henry, D. B., Wright, E. M., Quinn, C. & Tolan, P. (2024). Adapting Communities That Care for urban violence prevention: The Bronzeville experience. Journal of Urban Health, 101(5), 864–878.
Hawkins, J. D., Catalano, R. F., Arthur, M. W., Egan, E., Brown, E. C., Abbott, R. D. & Murray, D. M. (2008). Testing Communities That Care: The rationale, design and behavioral baseline equivalence of the Community Youth Development Study. Prevention Science, 9(3), 178–190.
Toumbourou, J. W., Rowland, B., Williams, J., Smith, R. & Patton, G. C. (2019). Community intervention to prevent adolescent health behavior problems: Evaluation of Communities That Care in Australia. Health Psychology, 38(6), 536–544.
Valdebenito, S., Baidawi, S., Rankin, S., Jiang, J., Smith, S., Lewis, J. & Shlonsky, A. (2025). Communities That Care: Toolkit technical report. Youth Endowment Fund / National Children’s Bureau.
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